In den letzten anderthalb Jahren seines Lebens hegte Ernő Lendvai den Gedanken, eine komprimierte Zusammenfassung seiner analytischen Methode nach Art eines Schulbuches zu verfassen. Sein unerwarteter Tod verhinderte die Ausführung dieses Plans. Auf Bitten seiner Witwe Erzsébet Tusa unternahmen die Herausgeber dieses Buches die schwierige Aufgabe. Ernő Lendvais berufliche Laufbahn spannte über etwa viereinhalb Jahrzehnte. Er begann als Bartók-Forscher. Seine Analysen zu Bartóks Werk schlugen sich in seinen ersten Aufsätzen (1947) und Büchern (1955) nieder. Seit Anfang der 70er Jahre erweiterte er sein Schaffensfeld zunächst auf Kodály und später auf die Romantik, insbesondere die Musik Verdis und Wagners. In seinem letzten Essay von 1992 untersuchte er eine Szene der Zauberflöte. Seine Methode weitete sich also allmählich zu einem umfassenden analytischen System. Dieses Buch hat zum Ziel, Lendvais theoretische Thesen so vollständig wie möglich, wenn auch notwendigerweise auf beschränktem Raum, darzustellen. In einer unserer letzten Begegnungen meinte er, eine solche Zusammenfassung könne sinnvoll aufgebaut werden auf seinen Artikel ”Symmetries of Music” (erschienen in Symmetry, Band I, 1990 bei VCH Publishers Inc.). Es war daher offensichtlich, daß dies auch für das Buch der angemessenste Titel sein würde. Das Essay mußte dabei jedoch entscheidend erweitert werden, da einige Probleme vollkommen fehlten und andere nur skizzenhaft berührt waren. Wir wählten Abschnitte aus zwei größeren, zusammenfassenden Werken aus: ”The Workshop of Bartók and Kodály” (Editio Musica Budapest, 1983) und ”Verdi and Wagner” (International House Budapest, 1988). Das ”Bartók and Kodály”-Buch, dessen Artikel vor allem in den 60ern und 70ern entstanden sind, wurde vor allem der ersten Hälfte dieses Buches zugrundegelegt, während die zweite Hälfte des Buches auf dem ”Verdi and Wagner”-Buch basiert. Zur Ergänzung wurden Abschnitte und Kapitel aus anderswo publizierten Essays herangezogen. Lendvais Untersuchung ”The Quadrophonic Stage of Bartók’s Music for Strings, Percussion and Celesta” wurde ebenfalls übernommen, und zwar in der leicht verkürzten Form, die er für die Vierteljahresschrift New Hungarian Quarterly vorbereitet hatte. Mit diesem Beitrag wollten wir darlegen, auf welche Art Lendvai eine Großform analysierte. Ein zweiter Grund, diesen Beitrag einzuschließen, war der, daß hier ein spezielles, fesselndes Problem behandelt wird, das nirgends sonst untersucht wird. Der letzte Aufsatz, den Professor Lendvai für die Veröffentlichung vorbereitete ist die ”Sprecher”-Szene aus der Zauberflöte. Da das Manuskript unbetitelt war, wurde der Titel zugrundegelegt, auf den sein Autor in Gesprächen wiederholt Bezug genommen hatte. Dieser Band ist keineswegs eine kritische Textausgabe. Wir sahen es als unsere Aufgabe an, Ausschnitte von Untersuchungen, die zu demselben Thema zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden waren, zu vereinheitlichen und Wiederholungen zu vermeiden. In dem Bemühen, stets den sowohl kürzesten als auch vollständigsten Wortlauf zu wählen, wurde manchmal nur ein Paragraph oder gar nur ein einzelner Satz aus einer anderen Quelle übernommen. Was woanders als Anhang oder Fußnote erschienen war, wurde, soweit es wichtige theoretische Aussagen enthielt, in den Haupttext aufgenommen, während entbehrlich Erscheinendes ausgelassen wurde. Diese Vorgehensweise schien vertretbar, da Lendvai selbst bei verschiedenen Versionen seiner Arbeiten ebenso vorging. Wir betonen jedoch ausdrücklich, daß kein einziger Satz oder Satzteil, ja nicht einmal ein einziges Adjektiv verwendet worden ist, daß Ernő Lendvai nicht in demselben Zusammenhang benutzt hätte. (Unvermeidbar erscheinende Anmerkungen der Herausgeber wurden in Fußnoten angefügt und klar als solche bezeichnet.) Dasselbe gilt auch für Musikbeispiele und graphische Darstellungen. Selbst bibliographische Angaben wurden, abgesehen von der Korrektur offensichtlicher Druckfehler, nicht vervollständigt bzw. korrigiert. Die Auswahl der Musikbeispiele war bestimmt von dem Wunsch, einerseits die theoretischen Thesen in bestmöglicher Weise zu erhellen, und andererseits so viele Komponisten als möglich aufzunehmen. Die große zeitliche Distanz zwischen den verschiedenen Schriften einerseits, und die späteren Veränderungen und Erweiterungen von Lendvais Forschungsbereich (z.B. die Verwendung relativer Solmisation) andererseits, erklären den Unterschied, der jedoch keinen Widerspruch darstellt, im Stil und teilweise auch in der Anschauung zwischen den ersten Kapiteln des Bandes (Achsensystem, Natursymbolismus, Aufbaurinzipien der Harmonik, Quadrophone Bühne) und den späteren. Dieser Unterschied kann manchmal sogar innerhalb eines einzelnen Kapitels festgestellt werden (siehe z.B. das Kapitel über authentisches und plagales Denken). Dieselbe Erklärung gilt für die Vorherrschaft bestimmter Komponisten in manchen Kapiteln (z.B. Bartók und Kodály in den Kapiteln zu Beginn des Buches, Verdi und Wagner in der zweiten Hälfte) und für die Beschränkung mancher Aussagen auf den einen oder anderen Komponisten. Dies konnte nicht vermieden werden – und es war auch nicht im Interesse der Herausgeber, dies zu vermeiden. Die englische Ausgabe, die dieser deutschen Übertragung zugrundeliegt,
wurde dankenswerterweise vom Kodály-Institut in Kecskemét übernommen,
dessen Direktor Mihály Ittzés im Jahr 1992 das erste und bedauerlicherweise
zugleich letzte Seminar mit Ernő Lendvai organisierte, in dem dieser
persönlich eine jüngere, unvoreingenommene Generation treffen konnte,
die neuen Ansätzen offen gegenübertrat. Dieses Seminar war eine äußerst
erfreuliche Erfahrung sowohl für ihn als auch für die Teilnehmer.
Miklós Szabó Miklós Mohay |